Merlot im Champagnerglas

Als alleinerziehender Vater war es für mich nicht leicht. Job, Haushalt, und Kinder unter einen Hut zu bringen, ohne dass irgendwer zu kurz kam, glich dem Tanz auf einer Rasierklinge.
Morgen war der erste Ferientag. Ich hatte für uns eine familienfreundliche Sommerresidenz in Italien gebucht. Im Urlaub wollte ich mit den beiden Rackern die Zeit zu dritt genießen.
Vorher sollten sie noch verwöhnt werden. Die zwei liebten Fischstäbchen, dass solche lukullischen Raffinessen für Kinder in der Vollpension enthalten sind, bezweifelte ich. Für die gleich daheim geplante Raubtierfütterung fehlten mir einige Zutaten.


Gerade rechtzeitig vor Ladenschluss betrat ich den Supermarkt und eilte durch die Gänge. Süßigkeiten für die lange Fahrt landeten im Einkaufswagen. Eine frische Zahnbürste, Deo und Mundwasser folgten. Wer hatte mir den Urinstein-Reiniger auf das Haribo Konfekt gelegt? Zurück ins Regal damit! Bezahlen und hurtig zu meinen Liebsten.
Auf dem Heimweg hatte ich nur ihre strahlenden Gesichter vor Augen. Verdammt! Die Radarfalle kannte ich doch! Warum dann der Blitz? Ein Blick auf den Tacho ließ mich aufatmen. Nur sieben Kilometer zu schnell!
Daheim angekommen, blieb ich im Flur stehen und lauschte. Nichts … diese Stille war unheimlich! Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Kinderzimmer.
Lächelnd drehte sich Mira um und hob den Zeigefinger an ihre Lippen.
»Sie schlafen, das war ein aufregender Tag für die zwei«, flüsterte sie mir zu. »Nach dem Mittagsschlaf haben sie mich an den Marterpfahl gebunden. Ich sollte die gefangene Squaw spielen. Später hatten wir eine gewaltige Kissenschlacht. Sie haben auf mir gesessen und gegrölt!«
»Was ist mit Abendbrot, ich wollte den beiden was kochen?«
»Sie haben vorhin von mir was bekommen. Die sind satt und schlafen bis zum Morgen!« Bei diesen Worten strahlte sie förmlich.
Ich schloss leise die Kinderzimmertür hinter uns und bat sie mit einer einladenden Geste ins Wohnzimmer.
»Mira, kann ich Sie zu einem Schoppen Wein überreden?«
»Gerne, wenn es keine Umstände bereitet.« Sie setzte sich mit einer anmutigen Bewegung auf das Sofa.
»Einen Merlot könnte ich anbieten, nur mit Gläsern … mein letztes Weinglas ist beim Spülen zerbrochen. Ist eine Champagnerflöte auch genehm?« Vor Scham zog mir bei diesen Worten die Röte ins Gesicht.
Sie zwinkerte mir zu und meinte: »Kommt doch nur auf den Inhalt an!«
Mira war die Nachmittagsbetreuung, die ich vor einiger Zeit eingestellt hatte. Erst jetzt fiel mir auf, was für ein bezauberndes Wesen da vor mir saß. Flammend rote Haare und Rundungen …! Trotz des Sauwetters hier in Norddeutschland sah ich eine gesunde Bräune. Ihr Seidenhemdchen verbarg ja auch nicht viel vor meinem Blicken.
»Besuchen Sie regelmäßig die Sonnenbank, sie sehen so erfrischend gebräunt aus?«
»Assitoaster? Freiwillig nie! Ich lege mich bei Sonne lieber auf den Balkon!«
Wir tranken einen Schluck. »Die nächsten zwei Wochen ist ja Zeit dafür, doch … ob die hier scheint?« Ich schaute prüfend aus dem Fenster. Ein Gedanke drängte sich mir auf. »Haben Sie Lust, uns in den Süden zu begleiten? Im Familien-Appartement sind genug Zimmer!« Ich bemerkte bei den Worten ein Strahlen auf ihrem Gesicht.
»Ich gewöhne mich gerade an die Kids! Die Aussicht auf einige Tage in Italien mit den Kleinen ist schon verlockend. Ich muss nur meinen Reisepass suchen und packen.«
»Dann ist das abgemacht, wir holen Sie morgen früh von daheim ab. Die Mäuse werden große Augen machen, wenn Sie zu uns ins Auto steigen. Ich nehme Sie nicht zur Aufsicht mit, für die Racker bin ich zuständig! Sie dürfen uns gerne als Gast begleiten.«
»Alles klar, Chef! Sie sind für die Arbeit da, ich darf die Tage genießen. Mal was Anderes.« Wieder zwinkerte sie mir verschwörerisch zu. Mira betrachtete aufmerksam meine Finger am Glas. »Was sagt denn ihre Frau dazu?«
Ich folgte ihrem Blick. »Der Ehering! Den bekomme ich nur schwer runter, der hat sich da festgesaugt. Ich bin seit drei Jahren geschieden, die Ex wohnt in Portugal bei ihrem Mann. Sie haben recht, den sollte ich endlich ablegen und    Wir tranken den Merlot aus, dann begleitete ich sie zur Tür. »Bis morgen früh, auf uns wartet die Sonne!« Ich hob die Hand zum Gruß und konnte mich gerade noch bremsen, sie nicht zum Abschied zu umarmen.

© Dinah Herbst/Dietmar Hesse

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