Toskana

2016 erschienen in der Anthologie Sommer und noch mehr des Autorennetzwerk.

Toskana

Ich saß im Zug nach München, um mich mit Autoren zu treffen. Es sollte in die Toskana in einen Arbeitsurlaub gehen. Die frühe Abreise aus Hamburg ließ mich gähnen. Ich schloss die Augen und war schnell eingenickt.
Im Abteil ertönte die Durchsage: »Nächste Station: München Hauptbahnhof! Die Reisenden werden gebeten, den Zug zu verlassen!«
Am Bahnsteig wurde ich von meinen Mitstreitern erwartet.
»Hallo Malte! Schön, dich live zu sehen.«
»Wie war die Zugfahrt?«
»Freust du dich auch so auf die Sonne, wie wir?«
Alle redeten durcheinander und ich wurde stürmisch umarmt. Sie hatten sich hier verabredet, um mich abzuholen: Sylvia, Maren, Monika und Dennis standen lächelnd vor mir.
»Kommt, gehen wir zum Auto, wir haben noch einen weiten Weg nach Italien«, sagte ich. »Der Süden wartet!« Ich schnappte mir Koffer und Tasche.
Dennis ging zum VW-Bus vor, und ich verstaute das Gepäck. Die lange Fahrt war genau das Richtige, um sich besser kennenzulernen. Bisher hatten wir ja nur Kontakt über das Internet.


»Erzählt bitte was von euch. Was hast du dir denn vorgenommen, Monika? Ich bin neugierig!« Ich lächelte sie an.
»Ich will endlich der Fantasy Geschichte einen traumhaften Schluss verpassen. Und du, Sylvia?«
»Mein Plot ist noch unlogisch, der wird hier bestimmt fertig, dann fange ich an, den Roman zu schreiben. Eine Reise in die Vergangenheit. Maren, was hast du geplant?«
»Mir fehlt noch das Ende meiner Liebesgeschichte. Die spielt in der Toskana. Diese Fahrt schien mir ein Geschenk des Himmels. Da fällt mir ein, ich würde gerne mein Postfach im Auge behalten. Gibt es eigentlich Internet im Ferienhaus?«
»WLAN vom Feinsten, das hat mich zuerst wirklich erstaunt. Ist aber top. Also habt ihr vor zu schreiben, tatsächlich mitzuarbeiten!« Dennis war gut gelaunt.
Wir plauderten über unsere Bücher, lachten und scherzten. Maren hatte während der ganzen Fahrt mit ihrem Lachen, der faszinierenden Art, das Gespräch zu begleiten, mein Herz erobert.
Irgendwann fragte sie: »Hältst du mal an? Ich müsste mal wo hin.« Sie rutschte schon seit Längerem auf dem Sitz hin und her.
»Gerne, dann können wir auch gleich was essen, ich habe riesigen Hunger.« Dennis steuerte den nächsten Rastplatz an.
Monika schaute sich im Lokal um. »Hier am Fenster, der Tisch ist gut. Malte, die ganze Fahrt bist du so still, stimmt was nicht?«
»Danke, mir geht es gut, ich bin nur etwas müde und in Gedanken bereits im sonnigen Süden.«
Wir betrachteten die Fotos der Gerichte auf der Karte: Alle sahen lecker aus.
Lächelnd kam Maren zurück. »Was habt ihr euch ausgesucht?«
»Wir sind in Italien, was glaubst du?«, entgegnete ich ihr.
»Sagt jetzt nicht Spaghetti!«
Wir lachten und sie schaute uns überrascht an. »Habe ich was Falsches gesagt?«
»Das Meer ist in der Nähe, da ist die Auswahl etwas lukullischer.« Ich reichte ihr die Speisekarte.
Der Blick aus dem Fenster auf einen Pinienwald war die richtige Einstimmung auf die nächste Zeit.
Wir bestellten uns Fisch. Er schmeckte hervorragend.
»Wenn wir das Essen im Haus genauso gut hinbekommen, ist die Woche gerettet.« Sylvia sah fragend in die Runde. »Wer kocht eigentlich?«
Dennis räusperte sich. »Wir erstellen einen Plan und wechseln uns ab.«
Bald saßen wir wieder im Auto, die Fahrt Richtung Abenteuer wurde fortgesetzt. Vorbei an einem malerisch gelegenen Dorf steuerte er den Bus auf einer schmalen Landstraße den Berg hinauf.
»Es ist nicht mehr weit. Hier bekommen wir all die leckeren Sachen, die wir brauchen!« Mit diesen Worten zeigte er auf den idyllischen Ort. Er bemerkte unsere fragenden Blicke.
»Ihr zweifelt; wartet auf den Markt, die Geschäfte und die Einheimischen! Dort bleiben keine kulinarischen Wünsche unerfüllt.« Lachend fuhr er weiter. »Gleich sind wir da, nur noch in die Einfahrt da vorne und den Weg hinauf!«
Die Sonne schien auf einen gewaltigen Olivenhain. Zypressen standen an einem Natursteinhaus, das traumhaft in die Landschaft passte. Diese Umgebung beflügelte meine Fantasie.
»Hier lasse ich Sina ihre große Liebe finden!«, flüsterte Sylvia mehr zu sich selbst.
Alle lachten und wir zogen in unser Sommerdomizil ein.

Maren eroberte mit mir den Platz hinter dem Haus. Als einzige Raucher in der Gruppe brauchten wir einen Ort für dieses Laster, an dem wir die Anderen nicht störten. Der kleine Tisch mit den bequem aussehenden Stühlen lud zum Innehalten ein. Wir setzten uns und ich genoss den lauen Sommerabend. Die Zikaden unterbrachen die Ruhe der ländlichen Stille, die Aussicht hinunter zum Olivenhain war einfach wunderschön.
Wir griffen gleichzeitig zum Aschenbecher und die zufällige Berührung ließ mich erzittern. Der Blick in ihre grünen Augen verursachte in mir einen angenehmen Schauer. Im Bauch kribbelte es, als wäre eine Ameisenkolonie auf dem Weg, und das Herz pochte, als wolle es herausspringen. »Darf ich dir Feuer geben?«, kam es fast flüsternd über meine Lippen.
Sie zupfte die Zigarette aus ihrem Mund. Amüsiert raunte sie mir zu: »Danke, ich lebe im Heute und bin da autark.« Mit einer schnippischen Geste klickte sie das Feuerzeug an, dann pustete sie mir eine Rauchwolke entgegen.
Die ist ja zickig! Was um alles in der Welt mache ich mir vor?
Maren war mir schon am Bahnhof bei der Begrüßung aufgefallen. Ihr strahlendes Lächeln hatte mich sofort erobert. Ich sah in ihre Augen und mir war klar, ich war hoffnungslos verliebt! Eigentlich wollte ich gleich umdrehen. Das konnte nur schiefgehen! In Gedanken erhob ich die Hände, bat den da oben darum, das nicht zuzulassen. Nur war es jetzt zu spät, einfach abzuhauen.
Auf der Fahrt in die Toskana hörte ich ihr Lachen, sie blühte in der Gruppe auf. Die Reaktion eben überraschte mich total.
Ich entdeckte eine weiße, kleine Ziege, die uns beobachtete. Sie schüttelte ihren Kopf und meckerte, kam schnuppernd zu mir und zupfte an meiner Jeanstasche. Das war dann doch zu viel, mit einer heftigen Bewegung verscheuchte ich sie.
»Eine Freundin hast du hier ja schon gefunden«, meinte Maren und zog genussvoll an ihrer Zigarette.
»Welche Freundin?«
»Nun, die Kleine mag dich anscheinend.«
Irritiert sah ich hinter der Ziege her, drückte die Kippe aus und verschwand ohne eine Antwort im Haus.
Verstehe einer die Frauen!

Auf der Liste für den Küchendienst am Dienstagnachmittag las ich Marens und meinen Namen. Bei den Temperaturen tagsüber beschlossen wir gleich am ersten Tag, das Hauptessen auf den Abend zu legen.
Auf dem Markt einzukaufen hatte ich noch nie probiert. Dieser Duft nach frischen Kräutern, fremden Gewürzen, die Waren so einladend ausgebreitet, dazu die anpreisenden Stimmen der Marktfrauen – unbeschreiblich! Ich verstand jetzt, was Dennis im Bus gemeint hatte. Hier gab es alles, was wir brauchten.
Maren hatte einen Einkaufszettel geschrieben. Ich kam mir wie ein verliebter Teenager vor, trottete hinter ihr her und versuchte, ihr Interesse zu wecken. Ich hatte schon lange nicht mehr um die Gunst einer Frau geworben. Dementsprechend dämlich kam ich mir dabei vor, denn sie ignorierte mein Getue. Nur die Tüten durfte ich tragen.

Nun trafen wir uns in der Küche, Maren stand am Herd und kochte, ich konzentrierte mich auf das, was ich glaubte zu können. Ich putzte das Gemüse, schnitt es in kleine Stücke und summte leise.
Unerwartet drehte sie sich zu mir um und schaute tief in meine Augen.
»Malte, ich kann das nicht!«
»Was kannst du nicht? Kochen?«
»Quatsch, das, was du von mir erwartest!«
»Was meinst du damit?«
»Ich sehe doch, wie du dich um mich bemühst. Da ist etwas, das tief in mir eine Mauer aufbaut. Sobald ich das Gefühl verspüre, dass jemand mehr von mir erwartet, mache ich zu wie eine Auster. Ich schwor mir nach dem letzten Fehlgriff, jedem Mann aus dem Weg zu gehen, der mir so nahekommt.«
Sie hat Angst davor, noch einmal verletzt werden. Das habe ich doch nicht vor! »Du bedeutest mir viel, ich glaube, ich bin verliebt, aber ich verstehe dich. Ich brauchte auch eine lange Zeit, um offen auf jemanden zuzugehen. Lass uns das Essen zubereiten, die Freunde sind hungrig! Darüber sprechen wir später.« Ich wusste es, das musste sie ja bemerken! Mein Herz zog sich zusammen, so kam es mir zumindest vor. Das habe ich wohl gründlich vermasselt.
»Das Gemüse ist geputzt und geschnitten, brauchst du mich hier noch?«
»Nein danke, den Rest schaffe ich alleine. In zwanzig Minuten können wir essen!«
»Alles klar, ich sage Bescheid.« Mit einem nachdenklichen Lächeln verließ ich die Küche.
Draußen im Garten hatten sie den langen Tisch schon gedeckt. Die Sonne strahlte vom Himmel, so als wolle sie die ganze Welt umarmen. Sylvia, Monika und Dennis machten es sich bei einem Glas Wein gemütlich. Sie sprachen über ihre Arbeiten des Tages.
»Na, wie geht es dem Essen?« Fragend sahen sie mich an.
»Das steht in zwanzig Minuten für euch bereit. Ist für die Küchenhilfe noch ein Schluck übrig?«
»Klar, komm, setz dich! Du schaust so bedrückt, stimmt etwas nicht?« Monika schien meine Stimmung bemerkt zu haben.
»Nein, alles in Ordnung, nur ein wenig abgespannt. Aber danke, dass du fragst.«
Mist, zusammenreißen! Dass mir die Stimmungslage auch immer auf der Stirn geschrieben steht!
»Dann zum Wohl, auf die gelungene Reise.« Ich erhob das Glas und prostete den anderen zu.

Am letzten Abend vor der Abreise setze ich mich unter die große Zypresse und ließ die Tage der Autoren-WG noch einmal an mir vorbeiziehen. Ich hatte es geschafft, meine Gefühle nicht mehr zu zeigen. Irgendwie bekamen wir es hin, die Zeit harmonisch verstreichen zu lassen, auch wenn es mir manchmal schwerfiel. Die Überarbeitung des ersten Buches war gut vorangekommen, fast zufrieden lehnte ich mich an den Stamm.
Wie ein Schatten trat sie aus dem Halbdunkel und setzte sich neben mich.
»Störe ich dich gerade?«
»Nein. Ich finde es schade, dass die Zeit hier so schnell vorbeigegangen ist, und schwelge in Erinnerungen!«
»Lust, über das zu reden, was wir in der Küche auf später verschoben haben?«
»Wenn du das willst, gerne.« Warum fange ich an zu zittern?
Sie rückte näher heran. »Danke, dass du mich nicht bedrängt hast. Das tat mir gut.«
»Nach dem, was du sagtest, war mir klar, du igelst dich nur ein. Du solltest hier Freude haben, die Tage genießen.« Ich bemerkte ein Lächeln in ihrem Gesicht.
»Das ist dir gelungen, es war eine wunderbare Zeit hier. Schon der erste Blick in deine Augen, ich war verloren, aber … Doch heute möchte etwas wagen, mich noch einmal verlieren, leben. Wenn du noch magst?«
»Das wollte ich dir immer wieder sagen: Vergiss das Versprechen, das du dir gegebenen hast! Kein Vertrauen zu schenken, bedeutet alleine zu sein.«
Maren lachte hell auf. »Genau, das war ich jetzt lange genug! Kommst du mit hoch auf einen Chianti?«
»Bist du dir sicher?«
Sie legte mir den Arm um die Schulter und hauchte mir einen zarten Kuss auf die Wange. »Sonst würde ich nicht fragen.«
»Dann gerne, gehen wir, bevor die Sonne aufgeht. Einsame Nächte erzeugen nur traurige Erinnerungen.«

Ich folgte ihr ins Zimmer und setzte mich aufs Bett.
Maren öffnete den Wein. »Ich habe leider nur Wassergläser, Hauptsache, der Inhalt stimmt.« Sie lächelte und sah prüfend zu mir. »Wie stellst du dir das denn mit uns vor? Du in Hamburg und ich in Stuttgart? Die Arbeit ist mir wichtig. Wenn das zwischen uns mehr wird, erwarte ich, dass du in meiner Nähe bist.«
Ich nahm ihr das Glas aus der Hand und strich ihr mit dem Zeigefinger sanft über die Wange. Mir wurde warm ums Herz. »Ich hatte, bevor du mich abgewiesen hast, auch schon darüber nachgedacht. Wo ich schreibe, ist egal. Mit dir geht es mir bestimmt gut, da sprudeln die Ideen nur so aus mir heraus. Also, ich bin zu allem bereit, nur du bist wichtig!«
Maren lachte laut auf, suchte ihr Weinglas und prostete mir zu. »Dann auf uns! Komm, setz dich: Ich will kuscheln!«

»Guten Morgen! Hat einer von euch meine Schlappen gesehen? Die habe ich hier irgendwo liegengelassen. Muss barfuß nach oben getapert sein.« Fragend schaute ich in die Frühstücksrunde und sah in verschmitzt grinsende Gesichter.
»Da sind deine Gedanken heute Nacht wohl auf anderen Wegen gewandelt!«

ENDE

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