Ich liebe Dich © Dietmar Hesse
»Womit habe ich ein Zauberwesen wie Dich nur verdient?«
»Du stelltest mir vor zwei Jahren die richtige Frage.« Miriam strahlte übers ganze Gesicht.
»Du hast ja gesagt, es eben vor allen im Gottesdienst wiederholt und mich zum glücklichsten Menschen im Universum gemacht. Wir gehören zusammen.«
Stolz entließen wir vor der Kirche den Luftballon in den Himmel, an dessen Schnur die Karte mit den großen Wünschen für gemeinsames Glück hing.
Die Feier mit Freunden sollte ein Vorschuss auf die vielen wunderbaren Momente sein, die wir von der Zukunft erträumten.
Zum Höhepunkt des Abends sang die Dame auf der Bühne mit der Federboa und dem zauberhaften Kleid unseren Song. Wir tanzten dazu, lachten aus vollem Herzen und schwebten im siebenten Himmel.
Alle Gäste waren schon gegangen, als wir den Saal verließen. Das Schneegestöber der letzten Tage hatte aufgehört, bei fünf Grad unter null zitterten wir um die Wette. Ich legte mein Jackett um ihre Schultern, der Sternenhimmel funkelt berauschend nur für uns.
Für die Buchung der Hochzeitsreise gingen wir in ein Reisebüro. Zwei Wochen Hawaii, den Surfern zuschauen und die Sonne genießen. Doch bevor wir in den Flieger steigen konnten, schlug das Monster Krankheit unerbittlich zu. Zuerst war es nur ein Druckgefühl an ihrer Wirbelsäule, dann klagte Miriam darüber, ihre Füße nicht mehr zu Spüren. Wir schalteten den Hausarzt ein, der meine Frau sofort ins Krankenhaus überwies.
Jetzt sitze ich schon eine Stunde hier vor dem Untersuchungsraum. Die Sorge um Miriam wird immer größer.
Eine Krankenschwester öffnet die Tür und schiebt sie im Rollstuhl zu mir. Sie begegnet dem fragenden Blick mit einer Mauer aus Schweigen. Ein Arzt nimmt mich zur Seite.
»Ein Geschwür an einer unglücklichen Stelle zwischen zwei Wirbeln drückt auf die Nerven, das ist der Grund, warum Ihre Frau die Beine nicht mehr spürt.«
»Ist sie gelähmt? Nennen Sie es doch beim Namen!«
»Nun mal langsam, wir haben morgen noch einige Untersuchungen durchzuführen. Erst dann können wir Genaues sagen. Lassen Sie ihr die Zeit, das zu verarbeiten.«
»Was geschieht nun? Meine Erfahrungswerte bezüglich dieser Situation sind gleich null.«
»Nehmen Sie sie mit nach Hause, sie muss sich ausruhen und braucht Sie jetzt.«
»Ich verstehe, ich kümmere mich um sie.«
»Morgen um neun sehen wir uns hier, bitte seien Sie pünktlich.«
Daheim angekommen trage ich sie zum Bett und decke sie mit ihrer Fleecedecke zu. Ihr Blick ist starr nach oben gerichtet.
»Darf ich etwas für Dich tun? Hast Du Hunger? Ich könnte Dir deine heiß geliebten Tortellini zubereiten.«
Miriam bleibt stumm. Ich bin verzweifelt. Die Türklingel lässt mich aufschrecken und der Lampenschirm der Nachttischlampe geht dabei zu Bruch. Wer will jetzt was von uns? Der Paketbote bringt ihr ein Päckchen, auf dass Miriam schon wartet. Sie hat vor ein paar Tagen ein Buch bestellt. Gestern noch hätte sie sich riesig über einen signierten Roman ihrer Lieblingsautorin gefreut.
Wieder im Schlafzimmer angekommen sehe ich, dass sie eingeschlafen ist. Ich ziehe ihr wenigstens die Schuhe und Cordhose aus, bevor ich mich dazulege, doch ich bekomme kein Auge zu. Wirre Gedanken kreisen in meinem Kopf. Miriam schläft wie ein Murmeltier. Vielleicht hilft ihr die Ruhe und ich dringe später zu ihr durch.
Um sieben erklingt Musik aus dem Radiowecker. Zeit zum Aufstehen wenn wir pünktlich im Krankenhaus sein wollen. Zärtlich streiche ich ihr über die Wangen und gebe ihr einen Kuss.
»Guten Morgen, mein Engel«, flüstere ich ihr ins Ohr. Miriam öffnet ihre Augen und schaut mich mit einem Lächeln an.
»Hallo geliebter Mann, was ist das für ein Wahnsinn. Denkst Du wirklich, das mit uns hat eine Zukunft, mit mir im Rollstuhl?«
»Das ist die Übelste aller Prognosen. Noch wissen wir nicht genau, wie es weitergeht, aber was ist das für eine Frage? Ich käme niemals auf die Idee, dass diese Sache etwas an meinen Gefühlen ändern könnte. Ich liebe Dich wie am ersten Tag. Komm, wir machen uns bereit für die Untersuchung. Dann erfahren wir mehr, ich bleibe für immer Dein angetrauter Ehemann, in guten wie in schlechten Zeiten, haben wir uns versprochen.«