Der Krimi
Es ist noch früh am Morgen. Ich sitze auf dem Balkon am Rechner. Hier habe ich mir bei dem schönen Wetter der letzten Tage meinen Schreibtisch eingerichtet. In der Küche röchelt die Kaffeemaschine. Schmunzelnd erhebe ich mich und trotte durchs Wohnzimmer. Jetzt eine Tasse Kaffee mit einem Schuss Milch. Der belebt den Geist, vielleicht fällt mir so die Entwirrung des Knotens im Kopf leichter. Die Geschichte muss doch weitergehen. Zurück am Computer gönne ich mir einen großen Schluck und parke den Kaffee auf der Fensterbank. Hier liegen alle Zettel, die ich glaube, zum Schreiben zu benötigen. Weiter geholfen haben die mir bis lang nicht.
Plötzlich verdunkelt sich der Himmel. Ein kräftiger Wind zieht auf. In der Ferne ist das Grummeln eines Gewitters zu hören. Es wird frisch.
Ich eile ins Schlafzimmer, um mir eine Jeans über die Boxershorts zu streifen. Im Schrank suche ich nach einem passenden Hemd. Noch ein liebevoller Blick zum Bett. Unter der dünnen Sommerdecke ist ihr graziler Körper nur zu erahnen. Einzig die Nase und das seidige blonde Haar trauen sich auf dem Kissen ans Licht. Zärtlich bekommt sie einen sanften Kuss aufs Näschen, dann verschwinde ich geräuschlos aus dem Zimmer.
Die Arbeit ruft. Der Kontoauszug auf der Kommode erinnert mich grausam daran. Ich muss den Roman endlich zu einem gelungenen Ende bringen.
Am Schreibtisch auf dem Balkon angekommen ist mein erster Griff der zur Kaffeetasse. Ein Schluck des warmen Gebräus, einmal tief durchatmen!
Ich setze mich zurück an den Rechner und lasse, wie zum Üben, die Finger über der Tastatur kreisen.
Der Himmel hat sich weiter verdunkelt, und im Süden sind in der Ferne immer wieder Blitze zu sehen. Das Grummeln des Donners und das Rauschen der Blätter im Wind untermalen die Vogelstimmen mystisch. Es erinnert mich an »Die Vögel« von Alfred Hitchcock.
Ich wende meine Aufmerksamkeit dem Text auf dem Monitor zu. Wie bekomme ich die Kurve? Irgendwie soll Kommissar Köhler die vor ihm liegenden Indizien zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Und es muss für die Leser glaubhaft sein!

Ein grelles Licht, und kurz danach ein laut krachender Donner, reißen mich aus der Konzentration. »Verdammt, das ist aber nah gewesen,« denke ich. Prüfend schaue ich mich um. Nichts zu entdecken. Von Westen her klart es auch wieder auf. Nur ein Sommergewitter.
Irgendwie hat dieser Blitz meine Kreativität neu sortiert. Eine Kerze leuchtet da oben warm in der Denkzentrale. Alles wird scheinbar neu gemischt, und eine Idee bekommt immer klarere Züge. Warum bin ich da nicht schon eher drauf gekommen? Lang und ausgiebig habe ich das Wandtattoo im Wohnzimmer des Opfers beschrieben. Kommissar Köhler es intensiv betrachten lassen. Zusammen mit dem Nagellack im Spiegelschrank des Junggesellen sollte er langsam die richtigen Schlüsse ziehen.
Erneut wird mein Gedankenfluss unterbrochen. In der Nähe beginnt eine Sirene mit lautem Geheule. Da muss scheinbar die Feuerwehr ausrücken. Der Blitz vorhin hat wohl doch eingeschlagen. Wieder ein Haus ohne Blitzableiter. Hoffentlich ist keinem etwas geschehen. Aus der Ferne ist schon das »Tatü Tata« der Einsatzfahrzeuge zu vernehmen.
Die Sirene hat ihre Pflicht erfüllt, und ich besinne mich meiner. Ein Griff zur Kaffeetasse – leer. Soll ich mir noch einen gönnen? Nein! Ich brauche jetzt ein Glas mit kaltem Inhalt. Mit der Tasse im Gepäck schlendere ich in die Küche. Im Kühlschrank forsche ich nach Möglichkeiten. Die Cola lächelt mich an. Ich schenke mir ein und höre eine Tür zuschlagen.
Die Müdigkeit noch im Gesicht zu lesen schlurft sie im Nachthemd herein. »Du bist aber schon früh auf!« Im Halbschlaf greift sie mit einer Hand zur Kaffeekanne. In der anderen hält sie ein Bilderbuch. »Das habe ich unten im Kleiderschrank gefunden. Wieso liegt diese süße Schildkröte da so vergraben?«
Ich küsse sie sanft auf die Wange.
»Das sollte ein Geschenk für die kleine Tochter einer Freundin sein. Sie liebt die Tierchen. Bin irgendwie nicht mehr dazu gekommen, es ihr zu geben.«
Sie schaut mich zweifelnd mit ihren wunderschönen Augen an. Sie zuckt mit den Schultern und wendet sich ab. Beim Gehen murmelt sie, »ich mache mich jetzt frisch. Nehme nachher den Bus zur Arbeit. Dann hast du das Auto. Fahr zur Bank und kläre das mit dem Konto!«
So schnell wird man wieder auf den Boden der Tatsachen befördert. Wenn wir die Frauen nicht hätten.
Alle Gäste waren schon gegangen, als wir den Saal verließen. Das Schneegestöber der letzten Tage hatte aufgehört, bei fünf Grad unter null zitterten wir um die Wette. Ich legte mein Jackett um ihre Schultern, der Sternenhimmel funkelt berauschend nur für uns.
Das Grau verschwindet. Nur einige Meter vor uns zeigt sich die Küste. Die Ruderblätter fallen, das Jauchzen und Schluchzen der Mitstreiter ist nicht zu überhören.
Ich sitze am See, schaue dem Schwanenpärchen zu, wie fürsorglich sie sich um den Nachwuchs kümmern, und überdenke in Gedanken meinen Weg. Den bereits Abgeschrittenen, den vor mir Liegenden und den, auf dem ich gerade wandele. In mich versunken lasse ich ein Blatt am Stiel zwischen den Fingern kreisen.
Die Melodie von Lady in Black summend, schlenderte ich gut gelaunt Richtung Fluss. Sam inspizierte den Container vom Nachbarn, schnupperte und setzte eine Duftmarke.
Gemeinsam hatten sie beschlossen, die Heimat an der Nordsee zum Fest zu besuchen. Sie, um die Familie zu sehen. Er wollte Freunde aus dem Büro treffen. Das alles erschien ihm wie ein Schritt durch das Tor der Vergangenheit. Er fühlte sich in der Wärme der Toskana in der letzten Zeit zuhause. In Gedanken hatte er den Norden Deutschlands schon lange hinter sich gelassen.
Sein Handy klingelte. Sonja? Zur Mittagszeit an einem Donnerstag? War etwas passiert?
Ich saß im Zug nach München, um mich mit Autoren zu treffen. Es sollte in die Toskana in einen Arbeitsurlaub gehen. Die frühe Abreise aus Hamburg ließ mich gähnen. Ich schloss die Augen und war schnell eingenickt.
»Ja, der kostet …« Sie sah mich prüfend an, schaute auf den Monitor, dabei raunte sie … »Nichts.«
Eine Frauenstimme antwortet. Der Fahrstuhl ist stecken geblieben.«