Der Wickinger

Das Augenlid zuckte ein wenig. Es fällt mir schwer, die Augen zu öffnen.
»Habe ich eben von Jane geträumt?«
Bei dem Gedanken an sie bereitet sich ein Lächeln der Zufriedenheit den Weg auf mein Gesicht. Den Schulstress hatte ich überstanden. Abi in der Tasche.
In der Glotze läuft eine TV-Serie. Kommissare ermitteln im Rotlichtviertel.
Langsam schlummere ich wieder ein. Die Nebel des Traums erobern die Gedankenwelt.
Der Sturm tobte. Mühsam versuche ich, das Boot auf Kurs zur Landzunge zu halten.
»Legt euch in die Riemen. Gleich sind wir da!« Uns Wikingern kann dieses Wetter nichts anhaben. Mit dem Hammer klopfte ich auf der Trommel den Takt für die tapferen Gefährten. »Gebt noch einmal alles, es ist bald geschafft!«
Es zieht dichter Nebel auf. Ein Blitz schlägt neben uns ins Meer. Der Donner direkt danach lässt meine Ohren schmerzen. »Oh, Thor, habe ein Einsehen. Bring uns heile zum Strand.«
Das Grau verschwindet. Nur einige Meter vor uns zeigt sich die Küste. Die Ruderblätter fallen, das Jauchzen und Schluchzen der Mitstreiter ist nicht zu überhören.
»Land, endlich Land!« Sie stürmen den Hang hinauf.
Ich folge ihnen. Der Anblick ist faszinierend. Vor uns liegt eine Stadt. Die Stille deckt alles zu. Menschenleer, kein Tier, ist zu sehen. Eine Geisterstadt.
Vorsichtig betreten wir die Hauptstraße. Vor einer Tür mit der Aufschrift »Saloon« bleiben wir stehen. Da ist Lärm zu hören. Es scheint wer da zu sein.
Ein Blick zu meinen Gefährten. Sie nicken mir zu, fassen ihre Waffen fester.
Wir treten durch die Schwingtür. Erstaunt betrachten wir das Szenario. Seltsam gekleidete Figuren mit durchsichtigen Bechern in den Händen. Darin eine braune Flüssigkeit. Sie trinken aus und geben der Frau hinter der Kiste die Trinkgefäße.
In einer Nische im Hintergrund sind einige Mädchen mit eigenartigen Kleidern zu sehen.
»He, Bardame, noch eine Runde für alle. So schnell kommen wir hier im Wilden Westen nicht mehr zusammen.« Einer der Männer brüllt das der bezaubernden Person zu.
Mein Blick wandert zu der Dame. Die kenne ich doch? Das Herz beginnt, in der Brust zu wummern.

Pfui, warum ist es so kalt und nass?
Ich schaue in ein Paar blaue Augen. Jane steht vor dem Sofa. Sie lächelt mich an. Sie hält einen tropfenden Waschlappen in die Höhe. »Du hast wohl schlecht geträumt.
»Ja, ein irrer Traum. Ich ein Wikinger mit Gefährten gestrandet im Wilden Westen. Im Saloon Cowboys mit Colts an den Hüften. Die Bardame hinter dem Tresen hatte dein Gesicht. Ich wollte zu ihr, da wurde es nass.«
»Gerade noch rechtzeitig.« Sie streicht mir sanft über die Wange. »Fremdgehen mit einer Traumfrau geht gar nicht.«
Ich setze zu einer Antwort an.
Sie stippt mir mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Für dich ist jetzt Sendeschluss, mein Prinz auf der Erbse.« Sie zielt mit dem Finger auf mich, hebt ihn vor den Mund und pustet darüber. »I shot the sherif. Ach nein, den Wikinger. Komm mit ins Schlafzimmer. Wir haben noch was vor.« Sie zwinkert mir zu und verschwindet schleichend aus dem Raum.